Ohne Smartphone leben?

Nachdem jetzt durch die Presse ging, dass bei einem Android-Smartphone selbst bei ausgeschaltetem Standortverlauf von Google die Standorte trotzdem erfasst werden, nämlich durch einen ggf. noch im Hintergrund laufenden Browser, habe ich mich gefragt, ob ich das eigentlich noch will.

Smartphone

Ich habe mich auch schon oft darüber geärgert, dass ich in einem Geschäft war und hinterher von Google gefragt wurde, ob ich das Geschäft empfehlen würde.

Warum interessiert sich Google so dringend für meinen Standort, dass er auch noch auf unterschiedlichen Wegen erfasst werden muss? Muss Google und die, wie wir seit Snowden wissen, dahinter stehenden Geheimdienste immer wissen, wo ich bin und welche Örtlichkeiten ich besuche?

Aber es ist ja nicht nur das. Ich hatte abgeschaltet, dass meine Dateien auf Servern von Google zu meiner Sicherheit gespeichert werden - zu meinem Besten, denn dann kann ich ja, falls ich mein Handy verliere, alle meine Anwendungsdaten einfach wieder herstellen. Also zum Beispiel meine Ebooks samt der Markierungen darin, in denen ich anmerke, was mich besonders interessiert hat. Es sind auch meine Browser-Passwörter, meine Lesezeichen und meine Apps auf diesen Servern. Google kann also ziemlich genau Profile erstellen, wer ich bin, wie ich mich verhalte, was mich interessiert und wann.

Neulich schaue ich wieder mal in die Einstellungen, da ist es wieder angeschaltet. Was ist passiert? War es das Softwareupdate, welches inzwischen eingespielt wurde? Warum muss ein Softwareupdate eine von mir bewusst gesetzte Änderung wieder umsetzen, wenn es nur eine Fehlerkorrektur ist? Das stinkt alles zum Himmel und Datenkrake ist genau das richtige Wort dafür.

Geht es ohne?

Und was stinkt, muss weg. Also habe ich mich im Web mal umgeschaut, was eigentlich eine Alternative sein könnte. Ich habe, um es genau zu sagen, Rezensionen von sogenannten „Einfachhandys“ gelesen. Da lese ich dann Sätze, wie: „Wer braucht schon den ganzen Smartphone-Schnickschnack. Wer telefonieren will, kauft sich dies Einfachhandy und der Akku hält einen ganzen Monat.„

Telefonieren?

Und da habe ich mich gefragt: Hat man denn ein Smartphone überhaupt, um zu telefonieren? Früher habe ich jeden Tag meine Frau vom Bahnhof abgeholt, da war es gut, falls der Zug mal nicht fährt oder meine Frau noch mal Shopping angehängt hat. Telefonieren ist auch gut, um kurz jemandem etwas mitzuteilen, was er vielleicht nicht sofort sieht, wenn es nur per Messenger gesendet wird. Das gilt natürlich nicht für Adressaten, die alle zwei Minuten auf‘s Smartphone schauen. Aber, Leute, ganz im Ernst: Ich habe mein Smartphone heute doch nicht, um zu telefonieren!

Das Smartphone ist ein Computer

Ich schaue damit in meine Bank und mache Überweisungen, ich fotografiere damit, weil ich es ja immer dabei habe. Ich schreibe auch kurze Nachrichten an meine Freunde und verschicke Fotos aus dem Urlaub. Ich höre Musik damit, schaue bei Einkäufen kurz vorher nach, wie die Rezensionen zu einem Produkt im Internet sind und ich habe darin meine Einkaufsliste. Ich höre in der Küche beim Kochen Internetradio oder Podcasts, lese kurz meine privaten E-Mails, und antworte drauf. Ich nutze es im Urlaub als Wecker, manchmal nutze ich den eingebauten Taschenrechner und nachts mache ich den Bildschirm manchmal nur an, um auf dem Weg zum Klo nicht abzustürzen. Ich lese auch meine Ebooks darauf, wobei ich da mein Tablet, was ebenfalls von Google ist, bevorzuge.

Ich könnte jetzt noch weiter schreiben, aber ich hoffe meine Hauptaussage ist klar: Das Smartphone vereint viele Funktionalitäten in sich, für die man sonst eigene Geräte bräuchte. Ein Navi für‘s Auto, eine Fotoapparat, ein Einfachhandy, einen Ebook-Reader, einen Notizblock samt Stift, einen Fahrkartenautomaten statt Bahn-App, einen Wecker und so weiter. Will ich denn auf all diese Dinge verzichten?

Gegen eine Fahrkarte im Portemonnaie oder einen Wecker am Bett ist sicher nichts zu sagen. Aber will ich mir jetzt ein Navi kaufen, was nach drei Jahren den Akku kaputt hat und ich es wieder austausche? Oder einen Fotoapparat, den ich dann doch nicht dabei habe, wenn es etwas zu sehen gibt? Und ein Einfachhandy, was ich dann doch nie benutze? Will ich nur noch zu Hause lesen, weil dort gerade mein Ebook-Reader rumliegt (und immer dann den Akku leer hat, wenn ich lesen will)? Und will ich in der Tram sitzen und statt Musik oder interessante Podcasts zu hören in das ausdruckslose Gesicht meines Gegenübers schauen?

Oder kaufe ich mir eine große Tasche und schleppe all diese Geräte ständig mit mir rum? Ich denke, eher nicht.

Weniger Ablenkung

Viele, insbesondere Minimalisten und Menschen, die sich wieder mehr Achtsamkeit wünschen, merken an, man solle sich nicht ständig ablenken, man muss nicht überall Musik hören, man braucht nicht ständig Lesen und irgendetwas aufnehmen. Ein Gehirn brauche auch mal Pause. Und in gewisser Weise haben sie recht, ich bin auch irgendwie ein Informations-Junkie. Und neulich habe ich gedacht, man muss auch mal seine Gedanken wandern lassen. Wie soll man sein Inneres ordnen und kreative Ideen bekommen, wenn man ständig bedudelt und abgelenkt wird?

Andererseits ist es irgendwie auch schön, immer alles dabei zu haben, nur ein Gerät statt vieler. Oft komme ich in Situationen, wo ich einfach gerne mal das Handy raushole und neue Nachrichten oder meine Ebooks lese, wie im Park oder im Wartezimmer. Oder ich mache mir Notizen zu Gedichten, die ich zu schreiben gedenke oder zu neuen Blog-Artikeln. Oft antworte ich auch mal im Chat jemandem oder schreibe selbst eine Kleinigkeit, die mir gerade in den Sinn kommt. Oder ich schicke meiner Liebsten eine kleine Aufmerksamkeit ein Bild oder einen lieben Satz.

Vielleicht probiere ich es einfach mal eine Zeit lang aus. Wir bekommen so viel eingeredet, was wir alles bräuchten, da ist es vielleicht auch einfach ein bisschen gelebte Westentaschen-Revolution, das Smartphone mal zuhause zu lassen. Aber könnte ich mich wirklich dauerhaft davon trennen?