Offener Brief an meine Nichten

Liebe Vernichten,

ich habe in den letzten Tagen eine Menge über das Klima und die Politik gelesen bzw. Videos von Sascha Lobo, Georg Schramm (die Stalinorgel des Kabarets) und Rezo gesehen. Dies hat mich veranlasst, einmal wieder über Euch nachzudenken.

Bzw., eigentlich über mich und wie Ihr mich sehen mögt - jetzt, wo ich in der Blüte meiner Jahre bin oder vielleicht später, wenn Ihr sagt: “Der war auch einer, der dafür verantwortlich ist, dass unsere Welt im Rectum ist.”

(Für die Öffentlichkeit: Ich nennen meine Nichten “Vernichten”, weil sie Karate können.)

Als ich so alt war, wie Ihr, also bis zum Alter von 22 Jahren, habe ich alles mit dem Fahrrad gemacht. Erst als mein Chef mir damals am Anfang meiner Karriere einen Autoschlüssel in die Hand drückte und sagte “Hol mal Pizza für alle!” flog es auf, dass ich noch keinen Führerschein hatte. Zwei Wochen später war es dann so weit: Prüfung bestanden und ab da gehörte ich zum Mainstream. Damals war unsere Firma noch klein und alle fuhren für die Firma mit den eigenen Autos, auch ich. Ich bin damals unglaublich viel gefahren. Als mir das klar wurde und ich meinen ersten Golf im wahrsten Sinne des Wortes aufgefahren hatte, dachte ich, ich müsste die Umwelt schonen und kaufte mir als nächstes lieber einen Diesel. Das war genau die Zeit, als dann der Diesel stärker besteuert wurde – begründet damit, dass es ja nicht sein könne, dass man als Dieselfahrer weniger verbrauche und so prinzipiell günstiger fahre. Aus heutiger Sicht ist meine Umweltschonstrategie natürlich voll nach hinten losgegangen, wofür ich mich bei Euch entschuldigen möchte.

Aber ich war zu dieser Zeit schon Vegetarier. Eine Zeit, als es Euch noch nicht einmal gab – übrigens der Zustand des Daseins, der die Umwelt am wenigsten belastet! Aber ich war, wie ich zu meiner Schande gestehen muss, nicht Vegetarier, wegen der Umwelt, sondern, weil mir Fleisch irgendwie noch nie so geschmeckt hat. Das mag auch an einer traumatischen Geschichte aus meiner frühen Kindheit liegen, wo man mich im Krankenhaus zwang einen riesigen glibbrigen und fettigen Knorpel zu schlucken, sonst gäbe es kein Eis zum Nachtisch.

Ja, ich weiß, heute ist man eigentlich erst richtig vegetarisch, wenn man Veganer ist, aber das war damals noch nicht so verbreitet. Ich weiß noch, dass ich ständig gefragt wurde, warum ich Vegetarier sei und ich erzählte immer die gleiche Story. Veganer, wenn Ihr wüsstet, wie gut ich Euch verstehe. Naja, mein Vegetariertum endete mit einer Currywurst, nicht, weil ich in der Arktis irgendwie überleben musste, sondern, weil ich einfach Lust auf eine hatte. Trotzdem, das war 20 Jahre später. Wenn Ihr also diesen Text lest, vielleicht zu einer Zeit, wo sich meine Moleküle schon wieder gleichmäßig in der Erdkruste verteilt haben, habt bitte Nachsicht mit mir. Vielleicht kann mich diese lange Zeit, wo ich keine methanausstoßenden Kühe verspeist habe, doch ein bisschen rehabilitieren. Auch wenn ich weiß, dass Ihr zu dieser Zeit ganz sauer auf alle alten Säcke wie mich sein werdet, die Eure schöne Erde so aufgeheizt haben.

Ach, apropos aufgeheizt, mein letztes Auto, was ich bekam, war ein riesiger Passat. Er war so groß, dass ich zweimal Unfälle hatte, weil ich nach hinten nicht genug sehen konnte. Hinten war einfach so weit weg. Aber er war schnell, bequem und ich konnte so viel fahren, wie ich wollte, es ging alles auf Firmenkosten. Liebelei in der Mitte von Österreich? Kein Problem, Firma zahlt. Wohnen in München und Freundin in Hamburg? Kein Problem, Firma zahlt.

Außerdem war dieses silberne große Auto ein wunderbares Statussymbol, mei, wenn ich jetzt auf mich schaue, Fahrrad, ggf. mal das Auto von meiner Freundin… Aber ich habe sie auf diese Weise kennengelernt. Statussymbole strahlen Potenz, Macht und Sicherheit aus. Trotzdem ist sie mir nicht weggelaufen und das sagt mir, dass es vielleicht doch nicht so wichtig ist, wie viele meinen. Vielleicht wird es sowas zu Eurer Zeit, jetzt, in der Zukunft, gar nicht mehr geben? Der Umwelt würde es gefallen.

Vielleicht wird es langsam Zeit, dass ich Euch überhaupt einmal schreibe, warum ich Euch schreibe. Also, es begab sich so: Meine Freundin und ich waren immer noch in der Schockstarre der letzten Videos. Sie meinte, ich hätte ja keine Kinder, aber ihre Tochter würde ja noch mindestens bis 2080 leben. Die würde all diese großen Klimakatastrophen, die Millionen fliehender entwurzelter Menschen, die zerstörte Natur und die verwüsteten Lebensräume ja noch mitbekommen. Und bei “Wüste” musste ich an Euch denken.

Ihr seid ja nicht meine Kinder, aber dank meiner Schwester habt Ihr immerhin ein Viertel Erbgut von mir mit drin. Ich fühle mich also, genetisch sozusagen, für ein Viertel auch für Euch und Eure Zukunft mit verantwortlich. Außerdem, das möchte ich gleich mal sagen, hoffe ich auch, dass dieses Viertel Erbgut sich weiter vererbt. Mein Opa sagte ja, ich wäre “der trockene Ast der Familie” und das wünsche ich natürlich keinem. Außerdem ist mein Erbgut natürlich echt klasse, hat sich über Millionen von Jahren immer wieder bewährt.

Aber ich wollte ja gar nicht so in die Tiefe gehen. Warum ich Euch eigentlich schreibe, das ist diese Greta Thunberg. Eine junge Frau, wie Ihr, die einfach nicht einsehen will, dass alte Knacker, wie ich, ihre Welt kaputt machen. Und das ist, was mich umtreibt. Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, aber ich fühle mich irgendwie ganz normal. (Auch wenn ich normal nie sein wollte.)

Ich habe irgendwie so ein Standard-Arbeitsleben noch nicht mal hinter mir, habe ein Haus abbezahlt, einen Baum gepflanzt, habe mich beruflich entwickelt, habe spirituell von blödem Dahergerede, Politik, über Philosophie, über Psychologie, über Spiritualität, Meditation und all den Scheiß, den man halt macht, wenn man älter wird – habe das alles durchdacht. Und trotzdem, als ich jung war, in den 70er Jahren, da war alles einfach und unbeschwert. Meine Eltern haben sich nicht sonderlich für die Umwelt interessiert, sie waren ja christlich und haben einfach immer CDU gewählt. Wir waren behütet aufgewachsen. Alles war bunt und aus Plastik (Jaaaaa PLASTIK!!!!) und stank nach den fürchterlichsten Weichmachern. Aus China kam nicht alles, sondern nur die kleinen Figuren aus dem Kaugummiautomat und irgendwie war alles irgendwie ok.

In den Achtzigern war es dann schon anders, da war schon “no future” und Waldsterben und fast schon Atomkrieg. Das kam irgendwie alles und ging auch irgendwie alles wieder. Ganz anders, als für Euch jetzt, die Ihr da nun klarkommen müsst mit dieser verranzten Welt. Was ich sagen will: Man kann ja nur was ändern, wenn man sieht, dass man was ändern sollte. Und irgendwie war das immer alles nicht wirklich da, also so, dass es in der Gesellschaft relevant war.

Seit Jahren machen wir unsere “Unterstützungskäufe” im Bioladen. Seit Jahren habe ich nur noch LED-Lampen, war einer der ersten. Meine erste LED-Leuchte habe ich wieder weggeschmissen, die hatte ungefähr die Leuchkraft einer Kühlschranklampe und das Licht war auch ungefähr so warm.

Durch verschiedene Maßnahmen haben wir es geschafft in unserem ganzen Haus nur noch 40 Kwh in der Woche zu verbrauchen. Noch weniger ginge nur, wenn wir alle möglichen Geräte komplett neue kaufen würden. Wir haben beschlossen, jetzt, nach Teneriffa, keine Flugreisen mehr zu machen, never! Wir haben, obwohl unser Vermieter sich einen Scheißdreck kümmert, unser Dachgeschoss selbst gedämmt und verbrauchen jetzt nur noch die Hälfte an Öl pro Jahr – durch nur 4!!! Zentimeter Dämmung auf dem Dachboden.

Was ich sagen will: Wir bemühen uns. Aber ich weiß, es wird nicht reichen. Es wird nicht funktionieren, den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen. Gott, wenn ich darüber nachdenke, wie warm es vielleicht ist, wenn Ihr so alt sein werdet, wie ich jetzt.

Ich fahre sogar wirklich weniger Auto, obwohl ich so eine faule Socke bin. Aber auch das wird nicht reichen. Es wird nicht klappen, den ganzen alten Säcken ihre Statussymbole zu nehmen, sie in kleine Wohnungen zu stecken, die gut isoliert sind, anstelle ihrer riesigen Häuser, die sie sich “vom Leibe abgespart haben” und in denen sie seit 40 Jahren immer noch wohnen, obwohl die Kinderzimmer leer stehen.

Dazu kommt ja noch, dass in der Zeit, wo ihr jetzt lebt, die ganze schöne Ausbeutung und Ausplünderung der bei uns damals so genannten Dritten Welt auch nicht mehr so gut funktioniert, wie früher. Vielleicht deswegen, weil überall nur noch Krieg oder Dürre ist und es einfach nichts mehr zu plündern gibt oder deswegen, weil sich diese Länder vielleicht emanzipiert haben und jetzt auch so leben wollen wie wir. Wir haben ja immer gedacht, dass wir alles selber erwirtschaftet haben. Aber nun, wo alles aus China kommt und wir nur noch konsumieren können, bis das Geldsäckel leer ist, wird uns langsam klar, dass wir irgendwie in einer Art Kunstwelt oder großer Filterblase gelebt haben. Und, ich kann es Euch nur so sagen: Das ist ein ganz komisches Gefühl, wenn man nach einem halben Leben plötzlich sieht, dass irgendwie alles ganz anders ist, als man immer gedacht hat.

Geld ist irgendwie nun Schuldgeld, also eigentlich das Gegenteil von Geld. Rente sagt man, wird es nicht mehr so geben können, schon jetzt reden sie von einer Grundrente. Zinsen gibt es auch nicht mehr, dass man für später sparen könnte. Die Finanzkrisen werden immer häufiger und, wer weiß, kommt es auch wieder so fett oder fetter, wie 1929?

Seht ihr, das sind so die Gedanken, die man sich macht, wenn man in der Mitte des Lebens steht. Ihr denkt noch, “ich rock die Welt”. Und die Achtzigjährigen sagen: “Ist mir doch egal, bin eh bald tot”. Nur wir in der Mitte, wir machen uns echt Gedanken. Sogar über Euch. Wir gehen sogar wählen. Obwohl ich neulich dahinter gekommen bin, dass es eh nichts nützt, weil eh nur gemacht wird, was die Reichen wollen. Aber leider gehöre ich zu denen auch nicht, fail!

Wenn ich reich wäre, dann wäre es einfacher. Zum Beispiel bräuchte ich nicht arbeiten bis 67 (vielleicht bis dahin bis 70). Also quasi von Drehstuhl gleich in die Kiste. Wenn ich reich wäre, dann könnte ich auch gut damit leben, wenn plötzlich alles, wofür ich mein Leben gespart habe, nur noch ein Zehntel wert wäre. Aber leider bin ich irgendwie ganz normal, nicht arm, aber auch nicht fett reich.

Langsam glaube ich, habe ich Euch schon ganz schön viel geschrieben. Vor allem, wenn man bedenkt, wie wenig ich Euch vorher geschrieben habe. Aber die Sachen, die wir uns so in der letzten Zeit angeschaut haben, die haben in mir irgendwie das Gefühl geweckt, Euch ausdrücken zu wollen, dass wir’s versaut haben, obwohl wir es nicht mal richtig bemerkt haben.

Ich hoffe also, dass Ihr in dieser Zeit, wenn einst das letzte Unwetter Euren Garten weggeschwemmt hat oder Euer Haus abgedeckt hat oder Euer Ortsteil nur noch eine verglaste Wüste ist, weil ein Militär irgendeinen falschen Knopf gedrückt hat - dass Ihr dann noch wohlmeinend an mich denkt. Und vielleicht denkt Ihr ja sowas, wie: “Naja, er hätte schon mehr tun können, aber er war halt auch ein Kind seiner Zeit”. Also so, wie wir heute über unsere Nazi-Opas denken. Das wär schon echt klasse, danke Euch.

Und, ja, ich würde mich natürlich freuen auch von Euch zu hören, was Ihr so denkt. Ach, denkt dran, wenn Ihr mir schreiben wollt, statistisch gesehen gibt es mich nur noch 29 Jahre.

Liebe Grüße, Euer Martin

PS: Ich schreibe das im Internet, weil Ihr sonst so nen Brief bis in 30 Jahren sicher versaubeutelt habt. Und das Internet vergisst nie! PPS: Dieser Beitrag ist in einfacher Sprache (bis auf “Rectum”, das heißt so viel wie “Arsch”)